3x3-Basketballer aus Hannover träumen von Olympia-Gold - und der NBA

Stand: 31.10.2024 09:30 Uhr

Jung, hipp und urban - spätestens seit Olympia ist 3x3-Basketball im Trend. Fabian Giessmann, Denzel Agyeman und Linus Beikame bilden in Hannover ein Nationalteam. Das Ziel: Gold 2028 in Los Angeles. Das junge Trio ist so erfolgreich, dass sogar NBA-Star Dennis Schröder anruft.

von Yasmin von Bargen

"MVP, MVP!" tönt es ohrenbetäubend über den 3x3-Court in der mongolischen Hauptstadt Ulaanbaatar. Mit ausgebreiteten Armen und leicht ungläubigem Blick steht Fabian Giessmann auf dem Feld. Seine Teamkollegen rennen auf ihn zu, springen ihm auf den Rücken. Der Jubel ist grenzenlos.

Giessmann hat gerade eben den entscheidenden Zweier im Endspiel der U23-Weltmeisterschaft gegen Titelverteidiger USA gelandet. Zwei Punkte, die zum WM-Titel führen. Und natürlich wird er MVP des Turniers. "Who else? He is too strong for evereyone in this tournament", ruft der Kommentator begeistert ins Mikrofon.

Weltmeister! Aber dieser Titel soll nur ein Meilenstein auf dem Weg des 3x3-Nationalteams aus Hannover sein. Ein Weg, der in diesem Jahr erst so richtig begonnen hat - und den so noch kein Team gegangen ist.

Der erste Profivertrag

Es ist Frühjahr 2024, der 19-jährige Fabian Giessmann und sein gleichaltriger Teamkollege Denzel Agyeman warten auf einem Schulhof in Hannover. Beide wirken älter. Mit 2,05 und 2,07 m, breitem Kreuz und Rastas stechen sie auf dem Schulgelände ins Auge. "Linus ist ein Fuchs, der wird bestimmt eher fertig sein", beschwört Denzel. Linus Beikame macht das Team komplett. Er hat an diesem Tag seine letzte Abitur-Prüfung.

Für Fabian und Denzel ruht die Schule. Denn zu Beginn des Jahres hat das junge Trio Profiverträge unterschrieben. Das bedeutet sechs Tage die Woche Training und ein Gehalt, von dem sie leben können.

NBA ist das Ziel aller Träume

Ein wichtiger Schritt und eine Erleichterung für Spieler wie Denzel: "Ich wüsste auch nicht, was ich danach sonst machen sollte. Ich hätte sowieso was mit Sport gemacht. Deshalb war ich glücklich, dass ich die Möglichkeit bekommen habe, Profisportler zu sein."

Auch Fabian Giessmann kann sich voll und ganz auf seine Karriere konzentrieren und hat Großes vor: "Für mich ist der Traum NBA - und ohne Profikarriere geht das nicht. Ich bin nicht mit viel Geld aufgewachsen, deshalb war ein gut bezahlter Job für mich und auch für meine Mutter wichtig."

Mit Teenagern an die Spitze

Den Job hat er in der Tasche. Am Olympiastützpunkt in Hannover arbeiten Chef-Bundestrainer Matthias Weber und Trainer Robert Birkenhagen seit vielen Jahren eng mit den Jungs zusammen. Das Besondere: Sie bauen ein 3x3-Team mit Teenagern auf, mit dem langfristigen Ziel: Gold bei den Olympischen Spielen 2028 in Los Angeles.

"Wir haben hier etwas geschaffen, das nicht nur in Deutschland, sondern in der Welt einzigartig ist", erklärt Birkenhagen dem NDR. "Mit so jungen Spielern anzufangen, 3x3 zu spielen und genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, da ist viel zusammengekommen."

3x3-Spieler sind in der Regel deutlich älter und oftmals Quereinsteiger, die vom klassischen Basketball kommen. In Hannover nehmen die Verantwortlichen mehr Anlauf, denken langfristig - und groß. "Wir wollen eins der weltbesten 3x3-Teams werden", sagt Cheftrainer Weber. Dafür wird am Olympiastützpunkt in Hannover sechs Tage die Woche trainiert und an jedem stehen Kraftraum, Wurfeinheit, Individual- oder Teamtraining auf dem Programm.

"Wir sind wirklich Freunde"

Mit breitem Grinsen kommt Linus aus dem Schulgebäude. Fabian und Denzel umarmen ihn herzlich. Abitur bestanden. Dass die beiden in einem so wichtigen Moment an seiner Seite stehen, ist selbstverständlich. Die drei sind mehr als nur Teammates. "Ich könnte mir keinen Tag ohne die beiden vorstellen", beteuert Denzel. "Wir sind wirklich Freunde", bekräftigt Linus. "Ich würde uns sogar wie Brüder beschreiben", erzählt Fabian, "wir streiten uns auch manchmal."

Sie kennen sich seit Kindheitstagen. Wenn sie nicht zusammen in der Nationalmannschaft spielen, treten sie gemeinsam für ihren 3x3-Verein St. Pauli an.

Ein langer Weg, der langsam fruchtet

Und das ziemlich erfolgreich. Rund 30 internationale Turniere spielen sie von nun an im Jahr. USA, China, Mongolei - das ist jetzt ihr Leben.

Mit St. Pauli haben die Freunde gerade ihr erstes Challenger-Turnier in Südkorea gewonnen - wohlgemerkt im Männerbereich. Die Olympia-Qualifikation im Mai haben sie, mit erst 19 Jahren, in letzter Sekunde verpasst und sich für die Europameisterschaft der Männer in Wien qualifiziert.

Der Zusammenhalt ist ein großes Plus

Mit der U-Bahn geht es zum ersten EM-Spiel am Prater. Geredet wird nicht viel, stattdessen gibt es Musik auf die Ohren, Rihanna und Afro-Beats. Volle Konzentration. "Wir sind jung und motiviert", erklärt Linus, "und wir sind als Team so geschlossen in sich, weil der Kern schon so lange existiert. Dass wir immer zusammenhalten, das ist eh klar. Und das ist ein großer Vorteil anderen Teams gegenüber."

Das Durchschnittsalter anderer Teams liegt teilweise zehn Jahre über ihrem eigenen. Gestandene Männer. Hier geht es um mehr als das Gewinnen. "Mir geht das Herz auf, wenn ich sehe, dass wir hier sind. Wir werden bestehen. Wir werden was mitnehmen und besser sein als vorher", schwärmt Coach Birkenhagen.

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Von der Realität eingeholt

Bestanden, das haben sie in den beiden Gruppenspielen gegen Spanien und Serien-Europameister Serbien. Gewonnen aber nicht. Das Aus in der Vorrunde.

Leere Blicke. Schweigen - das nur durch Fabians wuterfüllten Schlag gegen das Fitnessgerät durchbrochen wird. Und durch die Worte des Cheftrainers Matthias Weber: "Wir können nicht sagen, dass alles nur cool ist. Wir haben zwei Mal auf die Fresse gekriegt", mahnt er seine Spieler. "Das ändert nichts an der Liebe füreinander. Aber: Arsch runter, noch mehr in den Kraftraum, noch besser dribbeln, weitermachen. Ihr seid jung, aber wir wollen jetzt mal erwachsen werden."

Trainer "einer der wichtigsten Personen im Leben"

Erwachsen werden - ein langer Weg, der für Shootingstar Fabian Giessmann sportlich in Hannover Linden begann. Auf einem Fußballplatz. Und hier begann auch die gemeinsame Geschichte von ihm und seinem Coach Robert Birkenhagen, der Fabian auch in privaten Belangen unterstützt. "Für mich ist er einer der wichtigsten Personen in meinem Leben", erklärt der Basketballer. "Gefühlt ist er mein zweiter Vater, weil er schon so viel für mich getan hat."

Für Trainer Birkenhagen ist das selbstverständlich: "Ich reduziere meinen Job nicht darauf, nur am Spielfeld zu stehen und zu sagen: 'Lauf da lang oder mach den Korbleger so.' Da gehört viel mehr dazu."

Vom Fußball zum Basketball und in die NBA?

Unter anderem, die Talente selbst zu entdecken. Das größte heißt Fabian. Bis er 13 war, spielte Fabian beim SV Linden Fußball. Birkenhagen hat seinen Schützling zufällig auf dem Platz gesehen, wie er dastand und Wurfbewegungen gemacht hat. Als er ihn fragte, ob er mal zum Basketballtraining kommen möchte, musste Fabian nicht lange überlegen.

"Nach einer Woche Training habe ich mir gesagt: Wenn ich mit Basketball anfange, dann möchte ich auch in die NBA", lächelt er. "Ich habe es meiner Mutter versprochen und das würde ich auch gerne so einhalten."

Mit dem Geld die Familie unterstützen

Bei seiner Mutter ist Fabian zu Hause. Vor knapp 20 Jahren flüchtete sie aus dem Südsudan nach Deutschland. Kurz darauf kam ihr Sohn zur Welt. Mit seinen beiden Brüdern und seiner Mutter lebt Fabian in einer Zwei-Zimmer-Wohnung. Sein Vater ist vor einigen Jahren verstorben.

"Für mich war es immer ein Traum, meine Familie zu unterstützen. Wir konnten uns nie Sachen leisten, die sich andere leisten konnten. Das war für mich als Kind schon eine Motivation." Fabians Mutter Susan Aguer ist dankbar für den Support ihres Sohnes: "Im letzten halben Jahr ist er erwachsen geworden. Er sagt mir: 'Mach dir keine Sorgen, alles wird gut. Ich spiele auch Basketball wegen dir.'"

Anruf von NBA-Star Dennis Schröder

Wie sehr Fabian für seine Träume und Ziele kämpft, das zeigte er bei der U23-Weltmeisterschaft Ende September in der Mongolei. Deutschland dominierte das Turnier. Spätestens jetzt wurde die Basketballwelt aufmerksam auf die deutschen Jungs. Allen voran auf Giessmann. Sogar NBA-Star Dennis Schröder ruft an. Ein Gespräch von Weltmeister zu Weltmeister.

"Er meinte, dass der Auftritt krass war, dass ich viel Potenzial habe und er viel in mir sieht. Er hat gesagt, dass ich ihn alles fragen kann, wann immer ich will", berichtet Fabian. Nicht nur Spieler, auch NBA-Vereine klopfen an. "Es gibt Interesse, es gibt Nachfragen zu Fabian", sagt Birkenhagen. "Aber es wäre für alle im Basketball Neuland." Denn noch nie ist ein 3x3-Spieler in die NBA gewechselt.

Ob sich Fabians großer Wunsch erfüllt oder nicht - nicht weniger wertvoll sind für ihn die großen Ziele mit seinem Nationalteam, mit seinen "Brüdern" aus Hannover: der Triumph bei den Olympischen Spielen - ebenfalls im Land der Träume.

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